Psychisch kranken Menschen helfen – auch gegen ihren Willen?

Spannende Debatte zu einem hochbrisanten Thema. Es diskutierten (v.l.): Dr. Klaus Gauger, Prof. Dr. Andreas Heinz, Dr. Iris Hauth, Dr. Ralf Schupp, Prof. Dr. Reinhard Gaier, Prof. Dr. Franz-Josef Bormann. .
Spannende Debatte zu einem hochbrisanten Thema: Es diskutierten (v.l.): Dr. Klaus Gauger, Prof. Dr. Andreas Heinz, Dr. Iris Hauth, Dr. Ralf Schupp, Prof. Dr. Reinhard Gaier, Prof. Dr. Franz-Josef Bormann.

, Alexianer GmbH, Münster

Die Frage, ob psychisch kranke Menschen gegen ihren Willen behandelt werden dürfen, stand im Mittelpunkt des ersten Ethik-Symposiums der Alexianer in Berlin. Die Diskussion um eine Freiheit zur Krankheit treibt nicht nur die Psychiatrie um, wie die gut besuchte hybride Veranstaltung eindrucksvoll bewies. Unter dem Titel „Recht auf Krankheit? Ansprüche und Grenzen der Autonomie“ diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Recht, Psychiatrie und Theologie sowie Betroffene die Frage, wieweit das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen geht – und ab wann es einen Anspruch auf Zwangs-Behandlung gibt.

Dr. Klaus Gauger, 1994 selbst an paranoider Schizophrenie erkrankt und 2014 geheilt, gab zu Beginn einen beeindruckend offenen Einblick in seine 20-jährige Leidensgeschichte: „Meine Entscheidung krank zu bleiben, war nicht freigewählt. Ich war gefangen im Wahn und stand bald alleine da, weil sich meine Freunde von mir abwandten. Erst nach meiner Zwangsbehandlung in Spanien war ich frei“, sagte Gauger, der ein Buch über seine Erkrankung geschrieben hat.

Prof. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, betonte in seinem Vortrag das „Recht auf Hilfe“. Die psychiatrischen Kliniken seien heute konzeptionell darauf ausgerichtet, Zwang zu vermeiden. Um bei Eigen- und Fremdgefährdung oder auch um Patienten zu unterstützen, wieder in die Selbstbestimmung zurück zu kommen, könnten Landesgesetze sowie die Einrichtung einer Betreuung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch eingesetzt werden.

Prof. Dr. Reinhard Gaier wies den Vorwurf, die Justiz tue zu wenig, zurück. Der Verfassungsrichter a.D. schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Wer heute der Hilfe bedarf, den lässt unser Rechtssystem nicht im Stich.“ Er verwies auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018, das die Möglichkeiten zur Zwangsbehandlung erweiterte. Demnach sei heute keine Konstellation denkbar, bei der nicht beim Vorliegen triftiger Gründe eine Zwangsbehandlung zum Wohle der Patienten durchgeführt werden könne.

Die ethische Perspektive brachte der Moraltheologe Prof. Dr. Franz-Josef Bormann ins Spiel, der zunächst aufzeigte, wie sich in der Bundesrepublik nach 1945 ein libertärer Autonomiebegriff entwickelte, der die freie Selbstbestimmung des Menschen über alles stellte. Er plädierte in seinem Vortrag dafür, Maßnahmen gegen den frei verantwortlichen Willen unter besonderen Umständen zu ermöglichen. „Es gibt Situationen, in denen direktive Maßnahmen berechtigt sind“, so Bormann.

Rund 150 Zuschauer vor Ort im Tagungshotel Aquino in Berlin sowie 120 Zuschauer im Live-Stream nutzten die Möglichkeit sich an der Diskussion zu beteiligen. So erfragte ein Zuschauer, wie sein über 18 Jahre alter Sohn, durch Cannabismissbrauch an Schizophrenie erkrankt und ohne Krankheitseinsicht, behandelt werden könne. Dr. Manfred Lütz, Buchautor und ehemaliger Psychiatrie-Chefarzt der Alexianer in Köln, verwies auf von Psychiatrie-Patienten verübte Gewalttaten in den vergangenen Jahren, die vielleicht hätten verhindert werden können, wäre eine Zwangsbehandlung erfolgt.

Einig waren sich die Podiumsteilnehmer darüber, dass Ärzte und Juristen in einen intensiven Dialog treten müssen. Bormann verwies abschließend darauf, dass es keine Pauschallösung geben könne, sondern dass die einzelnen Institutionen individuelle Lösungen finden müssten. „Während Juristen primär den Fokus auf den Schutz von Personen gegenüber Eingriffen von außen – in diesem Fall die psychiatrische Behandlung – in den Vordergrund stellen, steht bei Ärzten und Therapeuten die innere Bedrohung des Patienten durch die psychische Erkrankung im Fokus“, gab Dr. Iris Hauth zu bedenken, ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph Krankenhauses Berlin Weißensee und eine der Moderatorinnen der Veranstaltung.

Als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung der Alexianerbrüder hatte Dr. Hartmut Beiker die Veranstaltung eröffnet: „Als christlicher Träger ist es unsere Aufgabe, bei einem gesellschaftlich relevanten ethischen Thema Flagge zu zeigen und die verschiedenen Perspektiven ins Gespräch zu bringen. Auch künftig werden wir uns mit Veranstaltungen dieser Art zu christlich relevanten Themen zu Wort melden und der Diskussion einen breiten Raum geben.“

Die Stiftung ist Träger/Gesellschafter der Alexianer Gruppe, die als großer konfessioneller Träger in der Gesundheits-​ und Sozialwirtschaft bundesweit über 30.000 Menschen beschäftigt. Für das Kommissariat der Deutschen Bischöfe Kirche sprach Dr. Natascha Sasserath-Alberti ein Grußwort. Tagungsleiter war Dr. Ralf Schupp, Leiter des Referats Ethik, Spiritualität und Leitbild der Alexianer GmbH.